Geschichte

Michael Stolleis: Deutscher Rechtshistorikertag, in: HRG I, 2008, Sp. 990–992.
(Text bereitgestellt mit freundlicher Genehmigung des Erich Schmidt Verlags)


Deutscher Rechtshistorikertag

Ein erstmals 1927 auf Anregung von Heinrich Mitteis in Heidelberg zusammengetretener und von Leopold Wenger geleiteter Fachkongress „der Rechtshistoriker aller Richtungen“. Es folgte zunächst eine Tagung in Göttingen (1929), während die in Graz für 1931 vorgesehene Tagung wegen der Bankenkrise und der durch Notverordnung verfügten Gebühr für Auslandsreisen von RM 100.– ausfallen musste; sie wurde 1932 in Jena nachgeholt. Der Deutsche Rechtshistorikertag erstarkte bald zu einer Institution in Vereinsform und diente auch als Diskussionsforum zur Stellung der Rechtsgeschichte in der Juristenausbildung. In den Programmen jener Jahre spiegeln sich sowohl die herkömmliche Dreiteilung in Romanistik, Germanistik und Kanonistik mit Schwerpunkten in Antike und Mittelalter als auch die damalige Stärke der Rechtsgeschichte des Zweistromlands und Ägyptens wider.

Nationalsozialismus

Die Tagungen in der Zeit des Nationalsozialismus (Köln 1934, Tübingen 1936) standen unvermittelt im Schatten der Vertreibung der international orientierten Romanistik sowie einer Euphorie der herkömmlich deutschnationalen Germanistik, aus der zunächst Stimmen zu hören waren, die Geschichte solle „mit den Augen des Blutes“ gesehen werden und es gehe darum, den „eigentümlichen Geist des germanischen Rechts“ (Walter Merk) in den Quellen auszumachen. In diesem Sinn sprach Herbert Meyer auf dem Rechtshistorikertag 1936 über „Volkstum, Rasse und Recht“. Starke innere Spannungen zwischen den verbliebenen, unter Druck geratenen Romanisten und den Germanisten waren die Folge, zumal ein junger Germanist, Karl August Eckhardt, eine Schlüsselstellung in allen Berufungsfragen gewann. Rassistische Parolen griffen allerdings auch in der antiken Rechtsgeschichte um sich (E. Schönbauer u.a.). Der Zerfall des Fachs war abzusehen. Die für 1938 in Breslau geplante Tagung wurde auf 1939 verschoben und fiel dann wegen des Krieges aus. Auf ihr sollte über den Ostraum (Aubin),  die Bauernkolonisation (v. Loesch), die Ausbreitung der magdeburgischen und lübischen Rechte, aber auch über „altrömische Erbfolgeordnung“ (F. Wieacker) sowie „Recht und Sitte in der Lebensordnung des römischen Volkes“ (M. Kaser) gesprochen werden.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg waren, wie zu erwarten, die internationalen Verbindungen abgebrochen oder schwer belastet. Der romanistische Zweig war stark dezimiert, der germanistische äußerte sich kleinlaut und wandte sich unverfänglichen Themen zu, die Kanonistik hatte ihren wichtigsten Forscher verloren (S. Kuttner), erlebte aber als kirchliche Rechtsgeschichte gerade durch nationalsozialistisch belastete Forscher (H.E. Feine, J. Heckel) einen gewissen Aufschwung. Die Zuwendung zu Europa und die Hinwendung zum gemeinen Recht schienen einen Ausweg aus der Lage zu bieten. 1947 fand eine sondierende erste Tagung von Rechtshistorikern in Marburg statt. Ihr folgte vom 16.–19. Oktober 1949 der 7. offizielle Deutsche Rechtshistorikertag in Heidelberg. Einen Tag später rekonstitutierte sich, ebenfalls in Heidelberg, die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Fast schien wieder Normalität eingekehrt. Es gab klassische romanistische Referate, aber auch solche über das Straßburger Münster (A. Erler), politische Verträge des Mittelalters (H. Mitteis), Naturrecht und römisches Recht (H. Thieme), Gottesurteile (H. Nottarp) und, unverdrossen, über „Die germanische Sippe als Rechtsgebilde“ (F. Genzmer).

Aufschwung und Professionalisierung

Auch auf den folgenden Tagungen (Wien/Gmunden 1951; Würzburg 1952; Hamburg 1954) wurden Normalität und Kontinuität der Aufgaben betont. Zeitgeschichtliche Vorträge oder Auseinandersetzungen über die Rolle des Fachs im Nationalsozialismus gab es nicht. Eine außerhalb der Tagungen geführte kleine Methodendiskussion wurde bald beiseite gelegt. Man konstatierte mit Stolz die wachsendene Teilnehmerzahl und vor allem die wieder hergestellte Internationalität, so beim 11. Deutschen Rechtshistorikertag in Freiburg im Breisgau 1956. Noch konnten die wenigen in der DDR verbliebenen Kollegen in den Westen reisen (G. Schubart-Fikentscher, R. Lieberwirth, G. Buchda), aber nach dem Bau der Berliner Mauer gab es kaum nennenswerte Kontakte. Seit dieser Zeit spiegeln die Rechtshistorikertage die westliche Wissenschaftsgeschichte des Fachs, etwa die Expansion der Universitäten, die Krise der Jahre nach 1968, die langsame Entstehung eines europäischen Verbunds der Forschung, die seit den siebziger Jahren deutlich werdende Krise der Romanistik, den Zuwachs an neuen Feldern außerhalb von Privatrechts- und Verfassungsgeschichte (Strafrechtsgeschichte einschließlich der „Hexenforschung“, Geschichte des öffentlichen Rechts, Sozialrechts und Völkerrechts), weiter die Auflösung der Dichotomie von Romanistik und Germanistik sowie die Öffnung zu den Methodendebatten der Historiker. Der Deutsche Rechtshistorikertag, über dessen Rechtsform eines e.V. erfolglos debattiert wurde, gewann seither an Professionalität und blieb bei dem Rhythmus von zwei Jahren [Übersicht, d. Red.]. Das Grundmuster einer an wechselnden Orten tagenden Versammlung der Fachvertreter mit wissenschaftlichem Austausch, einschließlich der Präsentation Jüngerer, mit Buch- und Projektvorstellungen sowie kulturhistorischem Begleitprogramm hat sich trotz der gestiegenen Teilnehmerzahlen unverändert erhalten. Aus zwei kleinen Frankfurter Tagungen nach der Wiedervereinigung (1992/93), die dem rechtshistorischen Nachwuchs aus Ost und West gewidmet waren, entstand 1994 das Forum junger Rechtshistoriker, das inzwischen europaweit und jährlich tagt. Es erfüllt, ähnlich wie die entsprechenden „Assistententagungen“ des öffentlichen Rechts und Zivilrechts, den Wunsch nach Kommunikation und Erprobung im Vorfeld akademischer Karrieren.

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